Bescheinigung der Sozialversicherungsunterstellung
Arbeitnehmer und Selbständige mit EU/EWR/CH-Staatsangehörigkeit, die vorübergehend in einem anderen EU/EWR-Mitgliedstaat oder in der Schweiz erwerbstätig werden (sog. Entsandte), unterstehen grundsätzlich am Tätigkeitsort den Rechtsvorschriften über die Sozialversicherung. Zur Vermeidung sozialversicherungsrechtlicher Doppelunterstellungen etablieren indes insbesondere die EU-Verordnungen (EG) 883/2004 und (EG) 987/2009 Koordinationsregelungen, die (von wenigen Ausnahmen abgesehen) als wichtigstes Prinzip die Sozialversicherungsunterstellung für sämtliche Arbeitseinkünfte in nur einem Staat statuieren.
Das Land der Unterstellung wird dabei durch Sozialversicherungsbehörden des Wohnsitzlandes über das einheitliche Formular A1 attestiert. Die Bescheinigung muss der Entsandte bei der Arbeit stets mitführen.
Dieses Formular ist etwa bei klassischen Entsendungen (im Regelfall für maximal zwei Jahre, in Ausnahmefällen verlängerbar auf 4 oder 5 Jahre) innerhalb von Konzerngebilden geläufig. Bis vor kurzem war indes wenig bekannt, dass die Beantragung der A1-Bescheinigung für jede Auslandsdienstreise innerhalb der EU, der Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island zwingend vorgeschrieben ist. Dies gilt für sämtliche Tätigkeitsorte (Staaten) einzeln und betrifft auch Geschäftsaufenthalte von kürzester Dauer. Jeder kurzfristig befristeter Arbeitsaufenthalt oder jene Geschäftsreise gelten nämlich als Entsendung.
Ein EuGH-Urteil zum Thema, Meldungen über Kontrollen von Berufsreisenden in Baustellen, Autobahnen, Messen und Geschäftshotels, an Entsendeunternehmen und/oder Entsandte ausgesprochene Bussen sowie Verweigerungen einzelner Länder Sachleistungen (z.B. bei Unfall) ohne A1-Vorlage zu erbringen, liessen in jüngster Zeit aufhorchen. Das A1-Erfordernis wird seither durch Relocation-Firmen propagiert und wird mittlerweile von immer mehr Personalabteilungen der Unternehmen respektiert. Trotzdem bleibt die Unwissenheit über die Vorschrift breit, ebenso deren bewusste Nichteinhaltung. In der Schweiz weisen spezialisierte Entsendungshelfer aktuell darauf hin, dass die behördliche Kontrolltätigkeiten insbesondere in Frankreich, Deutschland, Österreich, Belgien und Spanien fortwährend intensiviert werden.
Mitverantwortlich für diese Entwicklung ist auch die voranschreitende Digitalisierung. Ab 3. Juli 2019 ist der rein elektronische Datenaustausch bezüglich der sozialversicherungsrechtlichen Koodinationsverordnungen für alle beteiligten Staaten verpflichtend. Die Schweiz ist bereits parat (Webapplikation Application Legislation Platform Switzerland, abgekürzt ALPS), Deutschland ebenfalls, wenn auch noch bis Ende Juni in Ausnahmefällen Papieranträge akzeptiert werden (A1-Ansprechstellen sind in der BRD die Krankenkassen für gesetzlich versicherte Entsandte, die Rentenversicherung für Privatversicherte und die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland DVKA in Fällen sog. grenzüberschreitender Mehrfachtätigkeit). Die entsprechenden Daten münden alsdann ins EESSI, dem „Electronic Exchange of Social Security Information“, einer IT-Architektur, die für alle Sektoren der sozialen Sicherheit den europaweiten Datenaustausch zwischen ca. 8500 Institutionen ermöglicht.
Der neue A1-Formalismus, der jede Auslandsarbeit behindert, kurzfristige Dienstreisen eigentlich verunmöglicht und aktuell abertausende Arbeitgeber und Mitarbeiter in nichtgesetzeskonformer Stellung relegiert, ist zweifelsohne ein Bürokratiemonstrum, der der freizügigen Europäischen Idee entgegensteht. Dies umso mehr, weil Dienstreisen faktisch immer die in den EU-Verordnungen fixierten Entsendungsvoraussetzungen (u.a. vorübergehender Charakter, vorherige gewöhnliche Tätigkeit im Ursprungsland, kein Ersetzen anderer Entsandten, arbeitsrechtliche Bindung zum Entsender, Tätigkeit im Interesse und für Rechnung des entsendenden Arbeitgebers) erfüllen und daher stets zur Bestätigung der Unterstellung im Wohnsitzland führen. Auch deswegen scheint die durchgehende A1-Pflicht überdrüssig. Dies haben indes auch die Eurokraten in Brüssel bemerkt. In einer Medienmitteilung vom 20. März 2019 kündigt die EU-Kommission „Modernisierungen“ der Regeln zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit an. Darin findet sich auch der Satz: „Für Dienstreisen ins EU-Ausland muss kein A1-Entsendeformular beantragt werden“. Allerdings steht noch nicht fest, wie eine Dienstreise ohne Bescheinigungserfodernis definiert werden wird. Naheliegend wäre die Einräumung einer Schonfrist (14 oder 30 Tage), innerhalb der keine A1-Bescheingung notwendig wird. Möglich wäre auch, wie vom deutschen Bundesrat vorgeschlagen, eine Entbindung bei Geschäftsreisen, die nicht mit der Erbringung von Dienstleistungen oder der Herstellung von Produkten verbunden sind.
Die Schweiz wird die zu beschliessenden EU-Vorgaben zweifelsohne tel quel übernehmen. Bis aber die EU-Gesetzesanpassungen wirksam werden, gelten die aktuellen Regelungen strikte weiter. Jeder vorübergehende Arbeitsaufenthalt sowie jede auch noch so kurze Geschäftsreise bedingt auch in der Schweiz das Mitführen des A1-Formulars. Das Vorhandensein von A1-Papieren wird in helvetischen Gefilden recht häufig geprüft, allerdings fast ausschliesslich in Wirtschaftssektoren, die auf Lohndumping und Schwarzarbeit anfällig sind (z.B. Baugewerbe, handwerkliche Dienstleistungserbringung, etc.). Besonders im Visier stehen Selbständige, denen häufig Scheinselbständigkeit unterstellt wird. Bei herkömmlichen Geschäftsreisen (Business Meetings, Messe- oder Seminarbesuche, usw.) werden die Entsandten dagegen nicht nennenswert oder gar systematisch kontrolliert. Wer häufig die Schweiz (oder ein anderes betroffenes Land) aufsucht, sollte eventuell prüfen, das Formular A1 nicht als vorübergehende Entsendung, sondern via Mehrfachtätigkeit zu beantragen. In diesem Falle behält die Bescheinigung eine zweijährige Tätigkeit. Allerdings sollten dann auch die (je nach DBA-Ausgestaltung unterschiedlichen) Steuerfolgen abgeklärt werden.