Arbeit ausserhalb der Wohnsitzlandes oder Mehrfachtätigkeit über die Grenzen als Zeiterscheinung – Sozialversicherungs- und steuerrechtliche Problemfelder
Immer öfter werden Personen in zwei oder gar mehr Staaten wohnhaft und/oder arbeitstätig. Begünstigt wird diese Erscheinung durch weitgehende Niederlassungsfreiheiten, günstige Reisepreise, laufende Fortschritte in den Informations- und Kommunikationstechnologien und durch die zunehmende Standortunabhängigkeit mancher Berufe. So beobachten wir aktuell eine Zunahme an Personen mit Grenzgänger-Status oder mit internationalem Wochenaufenthalt, an home-office- bzw. remote-Arbeiten auf ausländischem Boden (z.B. für Schweizer Arbeitgeber), an gleichzeitigen Tätigkeiten für schweizerische und ausländische Arbeitgeber sowie an grenzüberschreitenden Kombinationen zwischen Selbständigkeit in einem Land und Unselbständigkeit im anderen Land (z.B. Ärzte, IT-Experten, Rechtsberater). Zuweilen erstreckt sich dieser grenzüberschreitende Erwerb gar auf drei oder noch mehr Länder oder er wird nicht Wohnsitzstaate ausgeübt (z.B. Wohnsitz in einem steuergünstigen Land und Arbeit in der Schweiz und in einem Drittland). Aus solchen Konstellationen resultieren steuer- und sozialversicherungsrechtliche Knacknüsse, aber auch interessante Gestaltungs- und Optimierungsmöglichkeiten. Emigration Now berät hierbei bezüglich EU/EFTA-Länder, Länder mit Sozialversicherungsabkommen, Länder mit Doppelbesteuerungsabkommen, Länder ohne Sozialversicherungsabkommen und ohne Doppelbesteuerungsabkommen sowie Länder ohne oder mit nur dürftigem Sozialversicherungssystem.
Am häufigsten werden gemäss unserer Erfahrung Mehrfachtätigkeiten über die Grenzen im CH/EU/EFTA-Raum ausgeübt. Während Steueraspekte zumeist in den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen eine Regelung finden, greift im Bereiche der Sozialversicherungen das europäische Koordinationsrecht, insbesondere durch die Grundverordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/2009 und die Änderungsverordnung (EU) Nr. 465/2012. Diese Verordnungen werden auch von den EWR-Ländern und der Schweiz sowie vorläufig noch von Grossbritannien umgesetzt. Als Hauptgrundsatz gilt, dass eine Person nur einem Sozialversicherungssystem unterstehen darf. Bei Mehrfachtätigkeiten in unterschiedlichen Ländern gelten daneben u.a. folgende Zuordnungsprinzipien:
Unselbständige Tätigkeit für einen Arbeitgeber am Wohnsitz und in anderen Staaten: Unterstellung im Wohnsitzlande, sofern dort eine wesentliche Tätigkeit ausgeübt wird, ansonsten am Geschäftssitz des Arbeitgebers
Unselbständige Tätigkeit für unterschiedliche Arbeitgeber am Wohnsitz und in anderen Staaten: Wohnsitzunterstellung
Selbständige Tätigkeit am Wohnsitz und in anderen Staaten: Unterstellung im Wohnsitzlande, sofern dort eine wesentliche Erwerbstätigkeit erfolgt, ansonsten am Geschäftssitz des Selbständigen
Keine Erwerbstätigkeit am Wohnsitz, selbständige Erwerbstätigkeit in anderen Ländern: Geschäftssitz des Selbständigen
Unselbständige Erwerbstätigkeit in einem Staat, selbständige in einem oder mehreren anderen Ländern: Unterstellung im Staat der unselbständigen Erwerbstätigkeit.
Diese Grundsätze können in diversen Fällen durchbrochen werden, mitunter für Entsandte (die befristet im Entsendeland sozialversicherungspflichtig bleiben können), Beamte oder für Drittstaatsangehörige, welche diesen Bestimmungen nicht unterliegen. Die ermittelte Zugehörigkeit zu einem sozialen Sicherungssystem eines Landes, welche mit der sog. A1-Bescheinigung attestiert wird, bedeutet, dass dort Beiträge auf sämtlichen in- und ausländischen Arbeitseinkommen nach den lokalen Vorschriften abgerechnet werden müssen. Arbeitgeber haben demnach u.U. im Ausland Sozialversicherungsbeiträge zu leisten, auch wenn die Abrechnungsbürde vertraglich dem Arbeitnehmer übertragen werden kann. Die oben erwähnte, in der Praxis oft zentrale Wesentlichkeit einer Tätigkeit ist über die sog. 25%-Regel definiert. Wenn eine Erwerbstätigkeit mehr als 25% der Arbeitszeit beansprucht oder über einen Viertel des gesamten Arbeitsentgeltes generiert, gilt sie als wesentlich. Demgegenüber bleiben unbedeutende Tätigkeiten unter 5% der Arbeitszeit oder des Entgeltes als marginal und werden bei der sozialversicherungsrechtlichen Zuordnung nicht berücksichtigt. Aber: Die Leitung eines Unternehmens, z.B. als Verwaltungs- oder Aufsichtsrat, ist immer eine wesentliche Tätigkeit, unabhängig von der beanspruchten Zeit oder der vereinnahmten Entschädigungen.
Bei Mehrfachtätigkeiten können im Bereiche der sozialen Sicherung substantielle Fallen lauern, sich aber andererseits auch Chancen ergeben, wie Fälle von „Konditionen-Shoppings“ zeigen (z.B. Selbständige, die in einem Land mit tiefen Abgaben ein 30%-Arbeitnehmerpensum darstellen). Die Unterschiede der sozialen Sicherungen CH/EU/EFTA sind bezüglich Beitragssätzen und Leistungen frappant. Bei Mehrfachtätigkeiten und beim Vorhandensein von Gestaltungsspielräumen ist daher eine sorgfältige Auseinandersetzung mit der Thematik unabdingbar. Dabei sind stets steuerliche, ausländerrechtliche und versicherungstechnische Implikationen mit zu berücksichtigen. Wer in zwei oder mehreren Staaten lebt und/oder arbeitet ist gut beraten, seine eigene individuelle Situation gebührend zu klären. Diesen Personen seien in einem ersten Schritt unsere Orientierungen empfohlen.