EUGH SEGNET STUNDUNG D-WEGZUGSSTEUER BEI CH-WOHNSITZNAHME AB
In den letzten Jahrzehnten haben viele auswanderungswillige Unternehmer aus Deutschland wegen hohen oder nicht tragbaren Exit-Steuerlasten von einer Wohnsitznahme in die Schweiz Abstand nehmen müssen. Grund dafür war die sog. Wegzugsbesteuerung, die Personen, welche in Deutschland mindestens zehn Jahren unbeschränkt steuerpflichtig waren und diesen Status durch Auslandswegzug beendigten, bezüglich ihrer privat gehaltenen Beteiligungen ab 1% des Kapitals an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften eine Besteuerung der latenten Wertzuwächse als fiktiven Veräusserungsgewinn auferlegte. Diese in § 6 des Aussensteuergesetzes fixierte Norm galt zunächst für alle Auslandswegzüge, wurde aber vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) 2004 im sog. „Hughes De Lasteyrie du Saillant“-Urteil wegen Verletzung der europäischen Niederlassungsfreiheiten als mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärt. Seither hat der deutsche Fiskus eine zinsfreie Steuerstundung der bei Auswanderung berechneten Steuer bis zum tatsächlichen Verkauf oder Übertrag der Geschäftsanteile bei Wegzügen ins EU/EWR-Gebiet zuzulassen. Im Verhältnis zum Nicht-EU/EWR-Mitglied Schweiz blieb die Stundungsoption weiter verwehrt, obschon die Niederlassungsrechte und Diskriminierungsverbote des Freizügigkeitsabkommen EU-CH (FZA) durchaus eine analoge Behandlung nahelegten. Die Angelegenheit beschäftigte deutsche Gerichte mehrfach, zuletzt das Finanzgericht Baden-Württemberg, das selbst Rechtszweifel äusserte und schliesslich letztes Jahr ein Vorabentscheidungsersuchen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxembourg einleitete.
Im Urteil C-581/17 vom 26.02.2019, das die Causa eines nach seiner Wohnsitznahme im Alpenland wegen einer hälftigen Beteiligung an einer helvetischen Gesellschaft zur deutschen Steuerkasse gebetenen süddeutschen Informatikers behandelte, statuierte der EuGH nunmehr die Unzulässigkeit der Stundungsverwehrung auch bei Wegzug in die Schweiz. Das Gericht stellte fest, dass ein deutscher Staatsangehöriger, der seine FZA-Niederlassungsfreiheit nutzen will, alleine deswegen gegenüber einem anderen deutschen Staatsbürger in selber wirtschaftlicher Ausgangslage, aber ohne Wohnsitzwechsel, einen Liquiditätsnachteil aufgrund der sofortigen Besteuerung der stillen Reserven zu erleiden hat. Diese Wegzugsbesteuerung könnte also Anteileigner hemmen, ihre legitimen Niederlassungsrechte zu beanspruchen.
Darüber hinaus prüfte der EuGH, ob unter Beachtung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes die Ungleichbehandlung allenfalls aus Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein kann. Untersucht wurde die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse D/CH, die Wirksamkeit der steuerlichen Kontrollen und die Notwendigkeit, zur Vermeidung von Steuermindereinnahmen eine wirksame Steuererhebung zu gewährleisten. Der EuGH stellte fest, dass alleine die Bestimmung der Steuerhöhe im Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes in die Schweiz bereits eine geeignete Massnahme ist, um die Erreichung des Ziels in Bezug auf die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis sicherzustellen. Überdies sei das Kontrollziel erfüllt, da die grosse Auskunftsklausel im Doppelbesteuerungsabkommen D/CH den Austausch von Steuerinformationen ermögliche, um allenfalls Informationen über die Veräusserung von Gesellschaftsanteilen erhalten zu können. Schliesslich bestünden auch ausreichende Möglichkeiten, Steuerforderungen in der Schweiz einzutreiben. Deutschland kann aus diesen Gründen seine Besteuerungsrechte auch bei Einräumung der Steuerstundung sichern, so dass Stundungsverwehrung unverhältnismässig sei. Die deutsche Finanzverwaltung muss nun dieser Luxemburger Vorgabe über eine Gesetzesanpassung oder via BMF-Schreiben Rechnung tragen. Der Wegfall der unmittelbaren Wegzugsbesteuerung behebt die gewichtigste steuerliche Auswanderungshürde und dürfte mittelfristig zu einem Anstieg der Einwanderung von deutschen Unternehmern in die Schweiz führen.