Im vergangenen Juni hat die Eidgenössische Steuerverwaltung das 69seitige Kreisschreiben 45 zur Quellenbesteuerung des Erwerbseinkommens von Arbeitnehmern veröffentlicht. Dieser Erlass regelt neu die Lohnsteuer von Personen, die in der Schweiz steuerlich nicht zwingend via Selbstveranlagung erfasst sind, also insbesondere im Inland wohnhafte ausländische Arbeitnehmer ohne Niederlassungsbewilligung sowie Angestellte mit Auslandswohnsitz, etwa Grenzgänger, Wochen- oder Kurzaufenthalter sowie Entsandte. Die helvetische Quellenbesteuerung betrifft aktuell weit über 100’000 Deutsche und wird auch künftig alle nichtselbständigen Zuwanderer zumeist in den ersten fünf Jahren Aufenthalt (Regelfrist bis zum Erhalt einer Daueraufenthaltsgenehmigung) beschäftigen. Die neue Direktive umfasst sowohl etliche nach diversen Bundesgerichts- und EuGH-Urteilen angepasste Regelungen als auch Elemente, die sich aus dem 2016 revidierten Quellensteuergesetz, das indes erst zum 1.1.2021 in Kraft treten wird, ergeben. Das Kreisschreiben, das in allen Kantonen einheitlich anzuwenden ist und daher erfreulicherweise verschiedene mühselige „Kantönli-Geist„-Usancen eliminiert, definiert zunächst verbindlich die Begriffe Arbeitnehmer, Steuerschuldner (auch bei Personalverleih und der abgrenzungsdiffizilen faktischen Arbeitgeberschaft), Ansässigkeit (Wohnsitzbegriff nach schweizerischem Recht sowie bei internationalen Verhältnissen die Kriterien von Artikel 4 des OECD-Musterabkommens) sowie steuerbare Leistung. Letztere umfasst u.a. den Arbeitslohn, Entschädigungen für Sonderleistungen, Lohnzulagen, Boni, Provisionen, Gratifikationen, Dienstalters- und Jubiläumsgeschenke, Naturalleistungen, Tantiemen, Sitzungsgelder, vom Arbeitgeber übernommene Leistungsverpflichtungen sowie Ersatzeinkünfte wie z.B. Taggelder oder Mutterschaftsentschädigungen. Im Wesentlichen liefern dabei die Vorschriften der „Wegleitung zum Ausfüllen des Lohnausweises“ den Bewertungsrahmen. Hierauf kommen die diversen Quellensteuertarife, so u.a. der Ledigentarif (Tarifcode A), die Einverdiener- und Zweiverdienertarife bei Verheirateten (Tarifcodes B, C, M, N), der Tarif für Alleinerziehende (H, P) oder die Grenzgängertarife (bezüglich Deutschland L, M, N und P) zur Anwendung. Die Festlegung der Quellensteuersätze ist Sache der Kantone (bzw. des Wohnkantons des Arbeitnehmers oder bei Grenzgängern des Kantons des Arbeitgebers).
Die Berechnung der Steuern erfolgt, wiederum je nach Kanton, im Monats- oder Jahresmodell. Für beide Modelle setzt das Kreisschreiben Regeln für die Satzbestimmung beim 13. Monatslohn, eine oder mehreren Teilzeit-Erwerbstätigkeiten, Stunden- oder Tageslohntätigkeiten, untermonatige Ein- und Austritte sowie für Leistungen vor Antritt oder nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Ebenfalls werden Ausscheidung von im Ausland geleisteten Arbeitstagen, die Änderung der persönlichen Verhältnisse während des Kalenderjahres, der Kantons- und Berechnungsmodellwechsel normiert. All diese Lohnsteuerdeterminanten werden mit Zahlenbeispielen untermauert, welche die Verschlungenheit einer korrekten Deklaration evidenzieren. Manuelle Quellensteuererklärungen bleiben zwar weiter möglich, doch dirigiert das Kreisschreiben zumindest grössere Entitäten und Treuhänder zum elektronischen Lohnmeldeverfahren Quellensteuer (ELM/QST), welches über von swissdec (eine staatliche Organisation, die sich im Rahmen des E-Governements den elektronischen Austausch von Finanzdaten vorantreibt) zertifizierte Lohnprogramme die Möglichkeit eröffnet, Quellensteuerdaten für alle Kantone einheitlich und standardisiert abzurechnen. Alle Neuerungen des Kreisschreiben zwingen betroffene Unternehmen und Berater zur kurzfristigen Software-Anpassung. Trotz begrüssenswerten Harmonisierungen verbleibt indes die schiere Komplexität der Lohnsteuerprozeduren, mögliche Vereinfachungen wurden nicht in Erwägung gezogen. Wichtig bleibt daher, dass Quellensteuerpflichtige beschäftigte Unternehmen, deren Personalabteilungen und Treuhänder und nicht zuletzt die Arbeitnehmer selbst Gestaltungsmöglichkeiten und Optimierungen erkennen und nutzen (z.B. Timing-Aspekte bei Bonuszahlungen, Lohnerhöhungen oder Arbeitsantritt- bzw. Beendigung, Abgrenzung Lohneinkommen zu Verwaltungsratsentschädigungen bei VR-Tätigkeiten, usw.). Aktuell bieten alle grossen Unternehmensberatungen Schulungsanlässe zum Thema an.
Als absolute Novität erläutert das Kreisschreiben die Regelungen zur sog. Quasi-Ansässigkeit. Künftig können auch quellenbesteuerte Arbeitnehmer mit Auslandsansässigkeit Jahr für Jahr optional eine nachträgliche ordentliche Veranlagung (also eine ordentliche Deklaration nach dem Welteinkommens- und Weltvermögensprinzip, was bislang nur Quellenbesteuerten mit Inlandswohnsitz vorbehalten war) veranlassen. Als Voraussetzung dazu müssen unter strengen formellen Vorgaben (mitunter Ernennung eines Steuervertreters in der Schweiz) den Nachweis erbracht werden, dass mindestens 90% ihrer gesamten Bruttoeinkünfte des Pflichtigen (und des Ehepartners) der schweizerischen Besteuerung unterliegen. Dies kann im Einzelfall zu markanten Steuerbelastungsreduktionen führen, da Steuerabzüge (und eventuelle Anrechnungen ausländischer Steuern) geltend gemacht werden können, die nicht in den Steuertarifen bereits standardmässig enthaltenen Pauschalabzügen berücksichtigt sind.